Das Singen der Schafe, Teil 1
Ich grüsse Euch aus Connemara, dem romantisch wilden Westen Irlands. Wer Irland kennt, weiss , dass der Ausgangspunkt nach Connemara, dem irischen Nationalpark, in Galway beginnt. Natürlich gibt es auch andere Wege um nach Connemara zu gelangen, da wir im Nordwesten der Insel wohnen, fuhren wir nach Westport und von da über den Wild Atlantic Way bis nach Leenane das im Herzen von Connemara liegt.
An Leenane, (sprich Liinaan), habe ich mein Herz verloren, allerdings habe ich mein Herz und meine Liebe schon lange vorher verschenkt, an einen Iren, meinen Mann Joseph. In Leenane verbrachten wir unsere Flitterwochen, das war im Juni vor dreizehn Jahren. Wir erlebten zwei Wochen unbeschwerten Glücks, das Wetter war uns so gut gesinnt dass in dieser Zeit kein einziger Regentropfen fiel, und hätte es die Nacht und ihre Dunkelheit nicht gegeben, hätte die Sonne rund um die Uhr gestrahlt. Schon seit Jahren hegten wir den Wunsch an diesen Ort, mit dem uns so viele Erinnerungen verbinden, zurück zu kommen. Doch sobald wir im Cottage sind fällt es uns schwer wegzugehen, ausserdem hat der County Leitrim ein reiches Angebot an Kultur und unverdorbener Schönheit zu bieten.
Als wir zu Beginn des Jahres ankamen, haben wir uns fest vorgenommen dass wir es diesmal schaffen werden, trotzdem sollte es beinahe Ende Juli werden bis wir unser Vorhaben in die Tat umsetzten. Wir erreichten Leenane nach einer knapp dreistündigen Autofahrt an einem frühen Nachmittag. Mit viel Glück und dank Gästen die kurzfristig abgesagt hatten, bekamen wir ein Zimmer in einem Bed & Breakfast, kurz B&B genannt, mitten im Ort, mit einer spektakulären Sicht auf den Fjord und das kleine idyllische Dorf. Wir hatten uns entschieden nicht im Voraus zu buchen und vertrauten darauf dass irgendwo eine gemütliche Unterkunft auf uns wartet, was uns bereits beim zweiten Anlauf auch gelang.
Nachdem wir unser Gepäck im Zimmer abgelegt hatten, machten wir uns auf den Weg zu „unserem Honeymoon Haus“, und hofften den Vermieter der im Bungalow nebenan wohnt, anzutreffen. Wieder hatten wir Glück, Eddie war gerade dabei sich anzuschnallen und loszufahren, er hat einen kleinen Bus mit dem er Touristen durch die herrlich wilde Landschaft von Connemara fährt. Natürlich hat sich Eddie nicht mehr an uns erinnert, dreizehn Jahre sind eine lange Zeit und seitdem haben wohl viele Gäste ihre Ferien im Haus am Fjord verbracht. Doch hat er sich sichtlich gefreut über unseren unangemeldeten Besuch, und es ergab sich ein sehr nettes und heiteres Gespräch. Eddie war sofort einverstanden als wir ihn darum baten, das Haus zu besichtigen, allerdings nur von aussen da es vermietet war. So fuhren wir die etwas holprige Strasse hoch, an dessen Ende nur noch Schafe die schroffen Hügel bevölkern.
Ich erkannte das Haus sofort wieder, es hatte sich kaum etwas verändert, alles schien gleich wie vor dreizehn Jahren. Mit dem Erkennen kam auch ein Teil der Erinnerung zurück an die Tage die wir hier verbracht haben. Wo die Strasse endet, mündet der Weg in einen kaum benutzten Naturpfad der den Berg hinauf führt. Ich erinnerte mich dass wir stundenlang in diesen Hügeln herumgekraxelt sind, ausser dürren Büschen und Gras gibt es hier nur Steine und Schafe. Von da oben hatten wir einen überwältigenden Blick auf das Haus, das Dorf das eingebettet ist in eine Mulde am Ende des Fjords, und die kleinen weissen Häuser zu Füssen der Hügelketten.
Eddie holte mich aus meinen Erinnerungen, er erklärte uns dass die Fassade einen neuen Anstrich erhalten habe und die Küche, die auch mit einer Feuerstelle ausgestattet ist, modernisiert wurde. Auf der Vorderseite des Hauses entdeckte ich den verwitterten Tisch und die Bank aus Holz, ich erinnerte mich wie mein Mann und ich oft hier gesessen und beinahe der Welt entrückt auf das Wasser und in die grün leuchtenden Hügeln geschaut haben. Unvergesslich sind mir die Spiele aus Licht und Schatten die die Felsplatten entlang wanderten sobald sich eine tief hängende Wolke vor die Sonne schob und sich nur langsam fortbewegte. Ein Schauspiel das mit dem Sonnenaufgang begann und erst mit dem letzten Sonnenstrahl der untergehenden Sonne endete.
Eine ganz besondere Erinnerung beschäftigte mich und ich ging ums Haus herum auf der Suche nach dem Rosenstrauch der damals leuchtend gelbe Rosen trug. Ich wusste auch genau wo der Strauch sich befinden musste, auf der rechten Seite, ganz unten, sehr nah an der Mauer des Hauses. Von hier führte ein schmaler Kiesweg in einen sehr wilden, dem Urwald ähnlichen, Garten. Daran hat sich bis heute, wie ich erfreut feststellte, nichts geändert. Ich konnte die gelben Rosen nicht finden und fragte Eddie nach deren Verbleib. Er erklärte mir, dass diese Rose von einem jungen Mann aus Deutschland mitgebracht und gepflanzt wurde, seine Eltern hatten das Haus einige Jahre gemietet und er verbrachte oft seine Ferien hier. Eines Tages kam er nicht mehr allein, sondern mit einer hübschen Frau und er stellte sie als seine Freundin vor. Sie war seine grosse Liebe, sagte Eddie. Leider hielt die Beziehung nicht, die Liebe zerbrach, und seitdem war der junge Mann nicht mehr hier.
Und was wurde aus der Rose wollte ich wissen? Wir hatten einen sehr kalten Winter, einige Jahre ist es her, mit Temperaturen die weit im Minus waren, zu kalt für die zarte Rose, sie ist erfroren. Eine Liebe die zerbrach, und eine Rose die erfror. Ich bedauerte den Tod der Rose und auch den der zerbrochene Liebe und verriet Eddie ein Geheimnis. Als wir vor dreizehn Jahren das Haus verlassen haben und wieder nach Hause in die Schweiz reisten, habe ich eine Rose abgeschnitten und mit genommen. Sie sollte eine Erinnerung sein an einige der schönsten Tage meines Lebens. Die Rose trocknete und wandelte sich von leuchtendem Gelb in ein helles sanftes Braun, ich legte sie auf meinen Nachttisch und sie erfreute mich viele Jahre lang. Irgendwann ist sie mir abhanden gekommen, über ihren Verbleib kann ich nur rätseln.
Eddie musste sich beeilen, seine Touristen abholen und in ihre Unterkunft bringen. Der Nachmittag war weit fortgeschritten, wir hatten Hunger, die Mädchen waren müde. Ja, unsere Enkelinnen waren natürlich auch mit uns; „Honeymoon zu viert“, das sagte mein Mann noch einige Male in diesen Tagen, und darüber konnten wir alle herzhaft lachen.
Vielleicht wundert Ihr Euch über den Titel dieses Beitrages, „das Singen der Schafe“. Wusstet Ihr dass Schafe singen können, oder es sich zumindest so anhört? Ich wusste es nicht, und das obwohl ich von Schafen umgeben bin und mir einbildete, ich wüsste wie sie aussehen und wie sie sich anhören. Ich liebe Schafe, und der Anblick einer Schafherde auf einer grünen Weide kann mich nach wie vor zutiefst erfreuen. Was wir aber an diesem Abend erleben durften, nachdem wir von unserem Essen und einem kurzen Besuch im Pub, ich hatte mir ein kleines Guinness gegönnt, das konnten wir kaum fassen. Es dunkelte bereits, die hohen Felsen waren in Grün und Schwarz getaucht, die Nebel hingen tief, und die Sicht von unserer Terrasse auf die Weiden war durch hohe Büsche und Bäume verdeckt. Es gab nichts zu sehen, doch was ich hörte liess mich vor Erstaunen schaudern. Es dauerte einige Zeit bis ich diesen Sing Sang einordnen konnte, es müssen hunderte Schafe gewesen sein auf der Weide unter den Felsen. Und alle waren sie am Singen, man sagt ja Schafe blöken, doch wird dieses Wort dem einmaligen Konzert das uns die Schafe bescherten, nicht gerecht. Es hörte sich an wie das Plärren und Murmeln von einer riesigen Kinderschar. Hört doch, die Schafe singen! So riefen die Mädchen begeistert. Sie sangen fast die ganze Nacht, nicht mehr alle in einem Chor, doch drangen immer wieder Stimmen durch die Dunkelheit.
Die Stimmen von jungen Schäfchen die mich ans Weinen von Babys erinnerten, die lauten heiseren Stimmen von alten Schafen die keinen Schlaf finden weil ihr Mittagsschlaf vielleicht zu ausgiebig war, die hell singenden Stimmen von Schafen die dem Kindesalter entwachsen doch lange noch nicht erwachsen sind, diese meinen, sie brauchen gar keinen Schlaf.
Wir blieben drei Tage in Connemara, wie es weiterging und was wir sonst noch erlebten das erzähle ich Euch im nächsten Beitrag, in einer Woche.
Ich bedanke mich für Euren Besuch, seid herzlich gegrüsst aus dem Cottage
Gertrud Carey