Eine irische Seele
Hello and welcome in my Cottage life
Ihr wisst wohl alle dass ich Geschichten liebe. Orte mit Geschichte, Häuser die eine Geschichte erzählen, und Menschen in deren Gesichtern man Geschichten lesen kann. Überall auf der Welt gibt es diese Menschen, in Irland, so behaupte ich, gibt es ganz besonders viele davon. Irland selbst ist das Land der Geschichten und Geschichten Erzähler, niemand versteht diese Kunst besser als die Iren. In unserer Nachbarschaft lebte ein Mann, der eher schweigsam war, doch dessen Wesen und Gesicht Geschichten erzählen konnte, ohne dass er viel reden musste. Ich kannte ihn nur einige Monate, und sehr persönliches habe ich nie erfahren, nicht von ihm und nicht von sonst jemandem. Hier ist meine kleine Geschichte über eine grosse irische Seele.
„Verdammte Scheisse, das Feuer geht aus, ich könnte mich grad betrinken. Da sind so viele Idioten auf der Welt und ich glaube immer noch an Gott“.
Das waren die ersten Worte die ich aus dem Mund unseres Nachbarn hörte, der allein in seinem Haus am Waldrand lebte. Auf meiner Wanderung kam ich an seinem Haus vorbei, einmal wagte ich es vor seine Tür zu stehen und die kleine Klingel, an der kein Name stand, zu drücken. Ich war schon im Begriff wieder zu gehen, als ich seine Schritte hörte und er die Türe öffnete. Er murmelte etwas das ich als Begrüssung verstand, und dann bat er mich mit einer Kopfbewegung ins Haus. Ich folgte ihm in die Küche wo er wohl grade versucht hatte Feuer zu machen und ich ihn dabei störte, es qualmte und eine kleine Flamme röchelte nach Leben. Sein Kommentar war eben der oben genannte, er hatte noch mehr derbe Sprüche auf Lager, aber ich hatte nie das Gefühl er sei grob oder unanständig im Umgang mit Menschen. Sein Wesen empfand ich eher als friedlich und freundlich, dies konnte er jedoch gut unter seiner harten Schale verbergen. Als ich einige Monate später wieder nach Irland kam, vernahm ich dass er gestorben war. Ruhe in Frieden alter Ire.
Ich bewunderte ihn und seine Sprache die so einfach und grob war wie die Umgebung in der er lebte. Ungekünstelt, echt und direkt. Ich erinnere mich an sein schelmisches Lächeln das sich hinter seinen wenigen verbliebenen Zähnen verbarg, die aussahen wie die bröckelnden Steine der Mauer vor seinem Haus. Ich erinnere mich an seine Augen, die, so glaube ich, von brauner Farbe waren, fast verschwunden unter seinen buschigen Brauen die wild in alle Richtungen wuchsen wie die Büsche um sein Haus. Sein Blick war dunkel, warm und ehrlich. Ich finde kein Wort das besser passen würde zu seinem Blick, als „ehrlich“. Wenn die Augen ehrlich sind, ist es die Seele auch. Er war eine ehrliche, alte irische Seele. Da fällt mir ein dass ich ihn nie nach seinem Namen gefragt habe, er nach meinem auch nicht.
Einmal, als ich meinen Blick etwas genauer durch seinen Garten schweifen liess, entdeckte ich ein sehr altes und sehr rostiges Gartentor das auf dem Boden lag. Ich fragte ihn ob ich es ihm abkaufen dürfte. Nach kurzem Überlegen meinte er, lieber nicht, vielleicht brauche ich es eines Tages noch. Das war ein gutes Argument dem ich nur zustimmen konnte. Wenn ich jetzt am Haus vorbei gehe, das einsam und verlassen am Waldrand steht, liegt das Tor immer noch am gleichen Platz. Fast vergraben unter der Erde und mit Moos überwachsen, und ich denke, wie gut dass er nicht wusste dass er es nicht mehr brauchen würde. Er hat an seine Zukunft geglaubt.
Ich erinnere mich, dass er ein kleines rotes Auto fuhr, in dem der halbe Hausrat und die Briefpost eines ganzes Jahres mitfuhr. Eines Tages war mein Mann zu Fuss unterwegs in Richtung Town, und als ihm das Ziel zu weit entfernt schien hob er den Daumen und hoffte auf einen gütigen Menschen der den Fuss aufs Bremspedal setzen würde. Er tat es, der Ire im roten Auto hielt an und fragte „you want a lift“, möchtest du mitfahren? Der Beifahrersitz war schnell geräumt, Hausrat und Post wurde auf die Ablage vor dem Fenster verfrachtet und der Rest fand auf dem Boden Platz.
Ausser seinem roten Auto hatte unser Nachbar auch einen Traktor, der mindestens so rostig war wie das Gartentor. Der Traktor stand auf der Wiese gegenüber dem Haus. Ich verliebte mich in dieses rostige Gefährt und hatte den Eindruck, dass an diesem Ort alles irgendwie sehr gut zusammenpasst. Das Haus, der Mann, sein rotes Auto und der rostige Traktor. Ich vermute, dass der Traktor dem Mann als Fahrgelegenheit diente bevor er sich das Auto anschaffte. Dass ältere Menschen mit einem Traktor in die Town zum Einkaufen fahren ist gar nicht so selten im ländlichen Irland. Ich denke da an eine Dame, Elisabeth heisst sie, sie fährt fast jede Woche stolz mit ihrem Traktor durch die Gegend. Elisabeth ist eine resolute Person, und der Traktor den sie fährt ist modern und riesig gross. Auf jeden Fall wusste sie sich zu helfen, als ihr Mann vor einigen Jahren starb und sie nicht Auto fahren konnte.
Wenn ich heute an diesem einsamen Haus vorbeigehe, spüre ich eine bedrückende Leere, die sich wie ein geheimnisvoller Schleier über alles ausgebreitet hat. Das rote Auto ist nicht mehr da, der Traktor auch nicht, und am meisten schmerzt es mich, dass aus dem Kamin keine Rauchwolke mehr in Richtung Himmel schwebt. Zu wissen, dass dieses Haus nun unbewohnt ist und wohl bleiben wird betrübt mich tief. Dieses Schicksal teilen unzählige Häuser in unserer Umgebung. Manchmal sind es Ruinen die bereits völlig überwachsen sind, versteckt unter Büschen und Dornen. Nicht alle sind in solch schlechtem Zustand, viele Häuser sind durchaus bewohnbar, und es bräuchte einfach etwas handwerkliches Geschick um darin leben zu können. Wenn ich durch die Gegend fahre, halte ich manchmal spontan an, und mache eine „Hausbesichtigung“. Ich versuche einen Blick durch verstaubte und dumpfe Fensterscheiben zu werfen, nicht selten ist alles noch an seinem Platz; der Milchkrug steht auf dem Tisch, das Bett ist ungemacht, die Holzkommode mit dem Spiegel- Aufsatz beherbergt noch die Kleidung die einst getragen wurde. Es scheint, als ob die ehemaligen Bewohner nur kurz aus dem Haus gegangen und nicht mehr wiedergekommen sind. Ich gehe durch wild bewachsene Gärten, in denen einst Kartoffeln und Gemüse angepflanzt wurde und Blumen blühten. Die einst stolzen Mauern um Haus und Garten bröckeln, und die so kunstvoll geschmiedeten Gartentore fallen aus den Angeln.
Jede Geschichte hat auch ein Ende, und ich lasse es hier gut sein. Es mag den Eindruck machen, dass mich die Geschichten der Menschen und Häuser etwas traurig machen, doch dem ist nicht so. Vielleicht so eine Art leise Trauer, doch noch viel mehr empfinde ich eine Tiefe und Dankbarkeit, und es ist wohl kein Zufall dass ich gerade hier, im ländlichsten und ursprünglichsten Teil von Irland gelandet bin. Hier sehe und höre ich Geschichten an jeder Ecke, hier dürfen verrostete Gartentore an bröckelnden Mauern hängen und Bäume durch die Dächer von längst verlassenen Häusern wachsen. Man mag auch denken, dass ich in der Vergangenheit lebe, was wohl der Wahrheit entspricht, doch finden Geschichten halt nur in der Vergangenheit statt.
Vielen Dank für deinen Besuch in unserem Cottage Leben, ich wünsche dir wunderbare und helle Frühlingstage, bis bald.